Wandmalerei in der Romanik: Farbe im Kirchenraum

Wandmalerei in der Romanik: Farbe im Kirchenraum
Wandmalerei in der Romanik: Farbe im Kirchenraum
 
So erstaunlich es dem heutigen Betrachter »kahler« Gotteshäuser auch scheinen mag - die meisten mittelalterlichen Kirchen waren bunt ausgemalt. Da ihre Wandbilder aber weder der Frömmigkeit noch dem Geschmack des 16., 17. oder 18. Jahrhunderts entsprachen, wurden diese entfernt oder übertüncht. Vernichtet wurden sie freilich häufig gerade durch ihre Entdeckung und Freilegung im 19. und 20. Jahrhundert. Jedenfalls müssen die wenigen heute noch bekannten Wandmalereien des 11. und 12. Jahrhunderts selbst dort, wo es sich um berühmte Zyklen handelt, als Ruinen bezeichnet werden, die uns kaum noch eine Ahnung der ursprünglichen Farbgestaltung und damit des originalen Raumeindrucks zu geben vermögen.
 
Gewiss hat sich die Ausstattung mit figürlicher Malerei in vielen Fällen auf die Apsis, den Triumphbogen und auf das Innere der Eingangswand konzentriert, waren die übrigen Wände oft nur ornamentiert oder getönt. Das Bildprogramm zeigt in der Höhe der Apsiskalotte stets ein Bild jenseitiger, eschatologischer Erscheinung - meist die »Maiestas Domini«, den erhöhten. Christus, der inmitten der Vier Wesen (Löwe, Mensch, Stier, Adler) thront, die die Evangelisten symbolisieren. An den Wänden des Langhauses finden sich dagegen erzählende Zyklen mit Bildszenen aus dem Leben Jesu oder der Heiligen; gelegentlich können sie auch in die Apsis - aber nie auf deren Mittelachse - vorrücken. Darstellungen der Kreuzigung Christi erscheinen meist über Altären, aber in der Regel nur an untergeordneten Orten - in Krypten, Nebenapsiden oder in Kapellen. Die Wandmalerei im Chorhaupt oder in der Apsis - und damit in Altarnähe - bezieht sich inhaltlich oft auf die Eucharistie: Die Darstellung etwa eines alttestamentlichen Opfers (Opfer Kains und Abels, Isaaks Opferung durch Abraham) entspricht typologisch dem Kreuzestod Christi und dessen unblutiger Wiederholung im Messopfer. Seltener sind hingegen gemalte Beispiele des Jüngsten Gerichts an der westlichen Innenwand nach byzantinischem Vorbild. Ganzfiguren von Heiligen und Propheten nehmen gewöhnlich die unteren Ränge der Apsiswand oder die Fensterzone im Langhaus ein: Im Augsburger Dom wurden Glasfenster mit stehenden Prophetenfiguren aus der romanischen Basilika sogar in den Obergaden des gotischen Nachfolgebaus übernommen und sind dadurch erhalten geblieben.
 
Die Wirkung mancher Wandgemälde war durch plastische Hervorhebung bestimmter Partien, etwa der Nimben, und durch Verzierung mit Glasflüssen und vergoldeten Kupferplättchen verstärkt. Zusammen mit den farbigen Glasfenstern und mit den wertvollen Textilien, die oftmals als Wanddekoration dienten oder als Vorhänge zwischen den Säulen und Pfeilern hingen, vermittelte die farbige Innenhaut des Kirchenraums die Vorstellung einer jenseitigen Welt, des vorläufigen, auf Erden gegenwärtigen Himmlischen Jerusalem.
 
Auch die Hallen der Kaiser, Könige und Herzöge waren ausgemalt. Doch nur in wenigen Fällen ist ihr Bildprogramm überliefert, aus der Zeit vor dem 15. Jahrhundert aber nie der Bildschmuck selbst. So berichtet Liutprand von Cremona in seiner »Antapodosis« (um 950) von Wandmalereien im oberen Speisesaal der Pfalz Heinrichs I. in Merseburg, die dessen Sieg über die Ungarn so wirklichkeitsnah dargestellt haben müssen, dass »eher die Begebenheit selbst als ihr Abbild« zu sehen war.
 
Glasfenster wurden im Mittelalter auch wegen ihres Symbolgehalts geschätzt. Als Leuchtende verwiesen sie auf Gott, die Quelle des Lichts, den Menschen dienten sie zur Erleuchtung. Dennoch bezeichnete Bernhard von Clairvaux farbige Glasfenster in Kirchen als überflüssig. Der Zisterzienserorden beschränkte sich daher auf rein ornamental mit verschieden abgestuften Grau- und Ockertönen gestaltete Fenster. Diese Praxis wurde auch in Stifts- und Pfarrkirchen nachgeahmt. Die Kathedralen hielten jedoch an der Farbverglasung fest, wie unter anderem die bedeutenden Reste der Glasfenster aus der Mitte des 12. Jahrhunderts zeigen, die in Chartres, Poitiers, Angers und Le Mans erhalten geblieben sind. Ungewöhnlich umfangreich war die kurz nach der Ermordung Thomas Beckets (1170) für die Erweiterung der Kathedrale von Canterbury geschaffene Farbverglasung, die das Martyrium dieses bereits 1173 heilig gesprochenen Erzbischofs und die an seinem Grab geschehenen Wunder vergegenwärtigte.
 
Prof. Dr. Ulrich Kuder
 
 
Kubach, Hans Erich: Romanik. Neuausgabe Stuttgart 1986.
 
Die Kunst der Romanik. Architektur, Skulptur, Malerei, herausgegeben von Rolf Toman. Köln 1996.

Universal-Lexikon. 2012.

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